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Wirtschaftsprofessor Feld weist Wege aus der Krise

© Jürgen Lüken
Engagierter Redebeitrag von Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik in Freiburg und ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Foto: J. Lüken
Aktueller konnte das Thema, dass Lars P. Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, am vergangenen Mittwoch im Nino-Hochbau in seinem Vortrag ansprach, kaum sein: „Krisenfest in Zeiten geostrategischer Herausforderungen – was zu tun ist“.
Das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dessen Vorsitzender er auch bis Februar 2021 war, wird zu den klassisch liberalen Ökonomen gerechnet.
Die Begrüßung der zahlreichen Gäste erfolgte wie gewohnt durch den Vorsitzenden der Wirtschaftsvereinigung, Klaas Johannink. In seinem Rückblick auf das vergangene Jahr betonte er die Krisen, Erschütterungen und Zeitenwenden, die damit verbunden gewesen seien, den Fall von Gewissheiten der Vergangenheit, aber auch kleine Lichtblicke.
Stichwort Krieg: Die Gewissheit, dass die Grenzen auf dem europäischen Kontinent feststehen: Weggefallen. Johannink betonte, dass kaum jemand damit gerechnet hatte, dass Putin die Ukraine überfallen würde, obwohl dessen Politik der letzten 20 Jahre schon deutliche Zeichen in diese Richtung gewiesen hätte. Als Lichtblick in diesem Zusammenhang wertete er das geschlossene Auftreten der Europäischen Union, der Nato und der Vereinten Nationen gegenüber Putin.
Stichwort Energie: Die Gewissheit, dass Russland immer liefert: Weggefallen. Putin hat den Gashahn zugedreht. Johannink sah vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund des Klimawandels alle Akteure im Energiebereich von der Wirtschaft bis zur Politik in der Pflicht, sich intensiver mit der Erzeugung, der Speicherung, der Verteilung und dem Verbrauch von Energie zu beschäftigen. Das gelte auch vor Ort: „Wir wollen in der Grafschaft lokale Energiecluster in den Blick nehmen, um Energiequellen und Energieverbraucher in unmittelbarer Nachbarschaft miteinander zu vernetzen“, sagte der Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung wörtlich.
Bezug nehmend auf das Thema der Veränderung der Energieträger infolge des Klimawandels und der damit verbundenen Abkehr von fossilen Brennstoffen betonte er die Nähe der Grafschaft zu Pipelines für den überregionalen Transport von Wasserstoff sowie die Nähe zu einem der größten Elektrolyseure Deutschlands, der in Lingen entstehen werde.
In Richtung Landes- und Bundesebene wünschte sich Johannink, „dass vorhandene Ressourcen in Form von Köpfen in Politik und Verwaltung alle Anstrengung in den erforderlichen Umbau unserer Energieversorgung stecken.“ Der für ihn beherrschende Eindruck sei jedoch, dass viel wertvolle Energie in akademischen Grabenkämpfen um einzelne Technologien und deren Laufzeiten verpuffe.
Als Lichtblick bezeichnete er den vor Kurzem in Wilhelmshaven fertiggestellten LNG-Terminal, der zeige, das Deutschland schnell liefern könne, wenn nur alle Akteure dies wollten und ein gemeinsames Ziel vor Augen hätten.
Stichwort Demographie: Lange Zeit nicht wahrgenommen, jetzt mit Wucht auf die Füße gefallen. Mit der Folge, dass jedes Jahr 600.000 Arbeitsplätze (1000 vor Ort) fehlen. Deutliche Kritik übt Johannink an der um sich greifenden Haltung, dass Deutschland sich vor Heerscharen von „Arbeitsmigranten“ schützen müsse. „Das Gegenteil ist der Fall. Bei Fachkräften weltweit steht Deutschland auf der Liste von Traumzielen nicht gerade oben. Wir brauchen endlich ein modernes Einwanderungsrecht, statt potenzielle Kandidaten mit bürokratischen Hürden abzuschrecken.“ Ein weiterer Kritikpunkt von Johannink: Dass Bildungschancen in Deutschland weiterhin vom sozialen Status und Geldbeutel der Eltern abhängig seien. Daher forderte er, dass weiterhin „Ressourcen für die Betreuung und Ausbildung aller Kinder und Jugendlichen“ aufgebaut werden. Konkret bedeute dass, dass die Ausweitung von Ganztags-Angeboten von der Kita bis zum Gymnasium auf der Agenda nach oben rücken müsse.
Stichwort Polarisierung: Problem erkannt aber nicht gehandelt, um es zu lösen. Der Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung nennt den aggressiven Ton, der sich vor allem in den digitalen Plattformen festmache, einen weltweit wachsenden Tumor, der das Zusammenleben der Menschen mehr und mehr vergifte. Johannink nannte die in den sozialen Medien vorherrschende Kommunikation steinzeitlich. Als größtes Problem bezeichnete er es, dass die dortige „Diskussions-Unkultur“ ihren Weg in die reale Welt des 21. Jahrhunderts gefunden habe. Beispielhaft nannte er den Sturm aufs Capitol in den USA und die Unruhen in Brasiliens Hauptstadt. Großen Schaden, so Johannink weiter, richte die Polarisierung auch dadurch an, dass Entscheidungsprozesse im gesellschaftlichen und politischen Alltag durch den zumeist aggressiven Ton gelähmt und verhindert würden, weil sich aus einfachsten Diskussionen Grundsatzdebatten entwickelten, die Kompromissbereitschaft vermissen ließen und zu nichts führten.
Stichwort Eissporthalle: „Wir haben keine Eissporthalle, wir hatten mal eine, aber das ist Jahre her“, sagte der Vorsitzende zu diesem Punkt und brachte seine Meinung über die durch einen Bürgerentscheid beschlossene Sanierung der Eissporthalle – die nach Auffassung des Landkreises auf einen Neubau hinausläuft – deutlich auf den Punkt: „Die Eissporthalle ist klinisch tot, seit Jahren. Wir müssen mit allen Ressourcen, sei es Geld, sei es Energie, sorgsam haushalten. Eine neue Eissporthalle wäre das glatte Gegenteil.“ Vor dem Hintergrund eines für die Eissporthalle errechneten Investitionsvolumens in Höhe von 18 Millionen Euro – bei einem Gesamtbudget des Landkreises von 33 Millionen Euro für alle Bereiche von Schule bis Straßenbau in diesem Jahr –, eines jährlichen Energiebedarfes von einer Millionen Kilowattstunden, einer drohenden Rezession und knapp bemessener Hallenzeiten für die Grafschafter Sportvereine betonte Johannink, dass es eine bessere Lösung sei, in die Schaffung und Modernisierung der Sporthallen und Bäder in der gesamten Grafschaft zu investieren als enorme Ressourcen an ein großes Objekt wie die Eissporthalle zu binden, dass „auf eine schon absurd niedrig anmutende Zahl von Nutzern“ treffe.
Der Vorsitzende sprach sich dafür aus, dass die Fläche, auf der sich die Eissporthalle befinde, in der Zukunft eine sportliche Nutzung finden solle. Er zeigte sich davon überzeugt, dass in der Diskussion mit Vereinen und Sportverbänden eine Lösung gefunden werde, die für einen Bruchteil des Budgets, das für die Eissporthalle errechnet wurde, ein Vielfaches an Nutzen erbringen werde. Deutliche Kritik übte Johannink an der online geführten Diskusssion über die Eissporthalle, die den Eindruck hinterlasse, dass der, der am lautesten schreie, schon Recht haben werde.
In dem anschließenden Gastvortrag von Prof. Dr. Lars P. Feld ging es dann um die weltweiten Folgen des Krieges von Russland gegen die Ukraine für die Wirtschaft, und vor allem um die Frage, welche Gegenmaßnahmen zu treffen seien, um die negativen Auswirkungen möglichst gering zu halten.
Bevor es ans Eingemachte ging, hatte Feld zunächst beruhigende Nachrichten mitzuteilen. Trotz einer krisenhaften Situation infolge von Corona, dem nachfolgenden Krieg und der damit verbunden Energiekrise sprach er von mutmachenden Zahlen bei einigen wirtschaftlichen Eckdaten. Das gelte für den Arbeitsmarkt, den er insgesamt als stabil bezeichnete, ebenso wie für das Wirtschaftswachstum, das kaum Schwankungen aufwies.
Als problematisch bewertete Feld die Entwicklung bei der Inflation, die sich nach seiner Darstellung schon vor dem Krieg abgezeichnet hätte. Als eine Ursache nannte er die falsche Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB), die im Gegensatz zur Federel Reserve Bank in den USA zu spät und zu zögerlich damit begonnen habe, den Leitzins zu erhöhen, um damit Einfluss auf die Geldmenge zu nehmen, die auf den Finanzmärkten zur Verfügung stehe. Feld forderte, dass die EZB die Liquidität zurückfahren müsse, um der Inflation zu begegnen.
Kritik übte er auch in Richtung Bundespolitik, die die infolge der Krise getroffenen Unterstützungsmaßnahmen (Stichworte „Bazooka“ und „Doppelwumms“) für die Wirtschaft und die Bürger zu lange und zu ungenau angelegt habe.
Vor dem Hintergrund der Energiekrise stellte Feld die provokative Frage, ob man ungeliebte Energieträger wie AKWs oder ungeliebte Fördertechniken wie das Fracking lieber ins Ausland verbanne und dafür höhere Energiepreise in Kauf nehme.
Weitere Kritikpunkte gingen in Richtung der Länge von Genehmigungsverfahren, der sich hinschleppenden Digitalisierung, der Steuerpolitik, der Deregulierung, der Verteilung öffentlicher Investitionen und der Suche nach neuen wirtschaftlichen Kooperationen.
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© Jürgen Lüken
Klaas Johannink, Vorsitzender Wirtschaftsvereinigung, sprach deutliche Worte zur Nordhorner Eissporthalle. Foto: J. Lüken