20.11.2019, 08:00 Uhr

Das „Eismädchen“ geht in Rente

Eine bekannte und gleichermaßen beliebte Verkäuferin nimmt nach 45 Jahren ununterbrochener Tätigkeit für die Nordhorner Kaffeerösterei Hotfilter Abschied von der Arbeitswelt. Helga Nibbrig geht am 1. Dezember in den wohlverdienten Ruhestand.

Helga Nibbrig stand 45 Jahre lang hinter den Tresen der Hotfilter-Filialen am Gildehauser Weg und in der Hauptstraße in Nordhorn.  Foto: R. Müller

Helga Nibbrig stand 45 Jahre lang hinter den Tresen der Hotfilter-Filialen am Gildehauser Weg und in der Hauptstraße in Nordhorn. Foto: R. Müller

Von Rainer Müller

Sie startete ihre Karriere bei Hotfilter 1970 im Alter von 14 Jahren als Eismädchen. 1971 begann Helga Nibbrig ihre Lehre im Einzelhandel in der Hotfilter-Filiale an der Hamburger Straße. Danach leitete sie die Filiale am Gildehauser Weg 102 bis zu deren Schließung 2001 und übernahm die Filialleitung des Geschäftes in der Nordhorner Hauptstraße bis heute. Damit dürfte die Länge der Betriebszugehörigkeit – von der Lehre bis zur Rente – von keinem Kollegen übertroffen werden können.

Tochter Jessica H. Zeimer, die bei der Lufthansa in Frankfurt als Trainerin für Kommunikation, Service- u. Teamkultur und Kundenzentrierung arbeitet, erinnert sich im Gespräch mit dieser Redaktion: „Meine Mutter kannte alle vier Geschäftsführer – Willi Hotfilter, der das Unternehmen 1929 gründete, Sohn Walter, der später die Leitung übernahm, gefolgt von Gerd Hotfilter und dessen Tochter Kathrin. 2016 übernahm die Osnabrücker Unternehmensgruppe Ost & Koch die Rösterei Hotfilter. Zu diesem Zeitpunkt war meine Mutter gerade 45 Jahre dabei.“

In den viereinhalb Jahrzehnten waren natürlich auch besondere Ereignisse dabei, an die sich auch Tochter Jessica gern erinnert. „Walter und Marianne Hotfilter haben meine Mutter – wie eine Tochter – mit zu den jährlichen Messen mitgenommen. Insbesondere die Süßwarenmesse in Köln war stets ein Highlight.“ Von den Besuchen kam Helga Nibbrig mit Unmengen Süßigkeiten nach Hause, die dann am nächsten Tag „leider“ mit zur weiteren Begutachtung und Musterung in den Laden mussten.

Ein Besuch bei der Firma Hachez in Bremen ist Jessicas Mutter ganz besonders im Gedächtnis geblieben. Marianne und Walter Hotfilter nahmen die damals 15-jährige Helga mit zum Essen. Ihrer Tochter erzählt sie Jahre später: „Sie bestellten Miesmuscheln und ich sollte probieren. Und ich hatte noch nie so etwas zuvor gegessen. Ich ließ mir nichts anmerken und aß eine Muschel. Das war meine erste und letzte Miesmuschel, die ich in meinem Leben gegessen habe.“

Auch die jährlichen Vorbereitungen für den Knobelabend auf der Blanke oder später in der Hauptstraße sind in Helga Nibbrigs Erinnerung haften geblieben: „An einem der letzten Wochenenden im November, manchmal sogar der erste Advent, haben wir im Laden die Präsente für den Nikolausabend fertig gestellt. Meine Mutter und meine Tochter sowie meine Aushilfen haben tatkräftig Tassen und Coca-Cola-Becher, Präsentkörbe und Kaffeepäckchen verpackt. Mein Vater hat mit meinem Mann und Schwiegervater an dem Tag immer Skat gespielt. Es war eine sehr schöne Tradition. Auch haben dann am Nikolausabend alle aus der Familie beim Knobeln mitgeholfen.“

In den letzten Jahren, bevor Ost & Koch die Firma übernahm, bot Hotfilter in der Zentrale in der Marienburger Straße auch Rösterei-Führungen an, die Helga Nibbrig voller Begeisterung und Leidenschaft mit Röstmeister Gerd Schade übernahm.

„Meine Mutter erinnert sich an ein mehr oder weiniger lustige Begebenheiten, zum Beispiel, als sie mit ,Opa Hotfilter‘ (so nannte sie den Seniorchef und Gründer) seinerzeit in die Lingener Filiale fuhr. Dieser sei damals über eine rote Ampel gefahren. Nach dezentem Hinweis, dass dies soeben so geschehen sei, hätte der Seniorchef den Rückwärtsgang eingelegt, sei wieder vor der Ampel zum Stehen gekommen und hätte ganz souverän gefragt: „So ist es besser, oder?“

In den Sommermonaten, wenn die Softeismaschine genutzt wurde, passierte es immer wieder, dass Helga vollgespritzt wurde mit Eis – die Maschine hatte „immer irgendeine Macke“ und sorgte stets für Gesprächsstoff.

An einem Sonntag Ende November erhielt Helga Nibbrig einen Anruf von einer Anwohnerin am Gildehauser Weg 102: „Liebe Frau Nibbrig, Sie sollten bitte die Markise am Laden ausfahren. Die Nikoläuse stehen jetzt nicht mehr, sie liegen.“ So hatte die Herbst-Wintersonne die ganze Schoko-Nikoläuse zum Schmelzen gebracht.

„Und ja, auch ich habe schon einmal vergessen, den Laden abzuschließen. Ich erinnere mich sogar, dass das Walter Hotfilter auch schon passierte.“ so Helga Nibbrig zu ihrer Tochter.

„Während eines Familienurlaubs der Nibbrigs Mitte der 1980er-Jahre in Tirol hörten wir plötzlich auf einem Gletscher in fast 3000 Meter Höhe: ,Ein Pfund Tolerant bitte, Frau Nibbrig!‘ So trifft –hunderte Kilometer entfernt – ein bekannter Kunde aus Nordhorn mitten im Süden Deutschlands auf die Filialleiterin.“

Ein Wendepunkt in Helga Nibbrigs Arbeitsleben war die Schließung der Filiale auf der Blanke Anfang 2001. Wie das Schicksal es so wollte, wurden durch einen Wasserschaden im schon leeren Ladenlokal viele Erinnerungen und Bilder von gemeinsamen Ereignissen zerstört. Jessica H. Ziemer: „Die Mitarbeiterinnen, die für Hotfilter und mit meiner Mutter gearbeitet haben, waren immer wie eine Familie. Noch heute arbeitet meine Mutter mit einem ihrer Lehrmädchen zusammen und noch heute bestehen Freundschaften mit ehemaligen Kolleginnen.“ Auch bestehe noch Verbindung zu Marianne Hotfilter oder dem ehemaliger Hotfilter-Prokuristen Zegger.

„Meine Mutter hat stets mit Leidenschaft Kaffee verkauft. Sie kennt die Sorten, die Herkunft, die Wirkung. Ebenso über Tees. Mit voller Überzeugung, Bereitschaft und Liebe hat sie Ware abgepackt – ob Trüffel, Konfekt oder Gebäck, Tee oder Kaffee, Kaffee, Pralinen und Geschenke eingepackt und vor allem Präsente – ob Tee- oder Pralinensträuße kreativ durchdacht und hergestellt. Ich kann mich daran erinnern, wie meine Mutter zu den Saisonzeiten Ostern, Muttertag, Nikolaus oder Weihnachten mit blutigen Daumen zu kämpfen hatte. Von dem Draht um die Präsente in den Sträußen fest- und zusammenzubinden. Eingebundene Pralinen, Tees, Specktorten – Präsente für jeden Anlass und Geschmack, in allen Farben und Größen.“

Im Gespräch mit dieser Redaktion sagt Jessica H. Ziemer: „Wenn meine Mutter für etwas steht, dann dafür, jedem Kunden die gleiche Aufmerksamkeit zu geben. Mit Liebe zum Detail, mit Leidenschaft zu den Produkten und einem enormen Wissen über Sortiment und Kundschaft. Fast jeder Kunde geht mir einer kleinen süßen Aufmerksamkeit aus dem Laden. Sie hat den Satz für mich geprägt ,Wie darf ich Ihnen bei der Auswahl behilflich sein?‘ Denn die Frage ,Kann ich Ihnen helfen?‘ – das sei gänzlich unpassend, habe ihre Mutter immer gesagt, und: ,Frag‘, wie du bei der Auswahl unterstützen kannst, welchen Anlass es gibt, welchen Bedarf der Kunde hat. Und dann findest du mit ihm gemeinsam das passende Produkt oder Präsent.‘

Jetzt wo die Rente für Helga Nibbrig näher rückt, beginnen die Nordhorner Kunden langsam, sich zu verabschieden, wie zum Beispiel der kleine dreijährige Paul, der ein paar Abschiedsblümchen bringt, oder die Kundin Fischer, die aus Überzeugung sagt: „Frau Nibbrig, Sie sind die Seele von Hotfilter!“

Seit Anfang 2001 leitete Helga Nibbrig das Geschäft an der Nordhorner Hauptstraße. Foto: R. Müller

Seit Anfang 2001 leitete Helga Nibbrig das Geschäft an der Nordhorner Hauptstraße. Foto: R. Müller